Stimmt es, dass Röhrenamps laut gespielt werden müssen, damit sie gut klingen?
Man hört und liest immer wieder, dass Gitarrenverstärker, insbesondere Röhrenamps, laut gespielt werden müssen, damit sie gut klingen - oder um gekehrt, dass Röhrenverstärker nicht gut klingen, wenn sie leise gespielt werden. Da diese sehr generalisierte Aussage so nicht stimmt, möchten wir uns das Thema mal etwas differenzierter ansehen und euch ein paar Hinweise geben, woher diese Aussage kommt und was davon stimmt - und was eben nicht.
Was ist dein Sound-Ideal?
In Bezug auf ein bestimmtes Sound-Ideal stimmt die Aussage, dass ein Röhrenamp besser klingt, wenn er so weit aufgedreht wird, dass die Endstufe anfängt zu komprimieren und zu in die Sättigung gehen: die Vintage-Sounds der 60er und 70er Jahre sind so entstanden. Voller und runder Ton, singende Obertöne und fette Leadsounds sind das Ergebnis der Endstufenkompression. Es ist ein weit verbreitetes - allerdings auch ebenso falsches - Gerücht, dass ein guter Gitarrensound grundsätzlich Endstufenkompression braucht.
Lieber so richtig Vintage oder eher modern?
Vielmehr trifft das am ehesten auf oben erwähnte Vintage-Sounds zu, weniger aber auf modernere Gitarrensounds. Denn wer schon mal Endstufenkompression gehört und vor allem gefühlt hat, der wird feststellen, dass sie sich auch durch flatternde, untighte Bässe auszeichnet und unter Umständen "schwerer" zu spielen ist. Nicht alle Gitarristen mögen das!
Bei modernen Gitarrensounds hat sich ein anderes Soundideal etabliert: die Sounds wurden tighter und straffer. Komprimierende Verzerrer wie z.B. der Tube Screamer werden vor den Amp geschaltet, und oft wird der Clean-Kanal des Amps als Pedal-Plattform verwendet. Endstufensättigung verliert an Bedeutung und ist oft sogar unerwünscht.
Beim Mesa/Boogie Dual Recifier beispielsweise, der den Nu-Metal-Sound der späten 90er und früher 00er Jahre maßgeblich mitgeprägt hat, wurde die Endstufe in der Regel von Röhren-Gleichrichter auf Silicium-Gleichrichter umgeschaltet, weil sie dann straffer reagiert und so dem Soundideal moderner Rock- und Metalsounds näher kommt.
Unterschätzte Soundkomponente: die Gitarrenbox!
Darüber hinaus besteht der Gesamtsound eines Gitarrenverstärkers immer aus Amp und Lautsprecherbox. Die Box hat einen wesentlichen Anteil am Gesamtsound! Auch in Bezug auf die Lautstärke, bei der ein Amp gut klingt oder nicht, spielt die Lautsprecherbox eine wesentliche Rolle.
Denn es gibt Lautsprecher, die aufgrund ihrer verhältnismäßig schweren Membran und einer relativ großen Schwingspule bei geringer Lautstärke die Höhen überbetonen und daher unausgewogen klingen und kratzen. Erst bei höheren Lautstärken klingen sie rund und angenehm.
Speaker mit einer leichteren Membran und einem geringeren Schwingspulendurchmesser hingegen klingen auch bei geringer Lautstärke schon rund und ausgewogen. Neben alten Celestion Greenbacks haben z.B. auch alle BluGuitar-Lautsprecher diese Eigenschaft.
Schlussendlich braucht ein Lautsprecher, um lebendig zu klingen, eine gewisse Belastung. Eine 4x12" Box mit 100 Watt oder mehr klingt nicht besonders lebendig, wenn sie mit 10 Watt belastet wird, weil die Speaker sich kaum bewegen. Eine 1x12" Box mit einer geringeren Leistung hingegen fängt schon viel früher an lebendig zu klingen.
Demnach muss man auch hier differenzieren: Je nach Leistung einer Box sowie je nach Typ und Anzahl der Lautsprecher gibt es Gitarrenboxen, die leise unausgewogen und steif klingen - aber eben auch solche, die bereits bei geringen Lautstärken ihre Lebendigkeit ausspielen und angenehm rund und fett klingen.